Meister des Grauenhaften

Uwe Boll dreht Filme, die keiner gut findet. Aber er verdient Millionen damit. Für die Häme rächt sich der schlechteste Regisseur der Welt auf seine Art: Er dreht noch mehr Filme. (Das Magazin)


Es ist heiss, 30 Grad im Schatten, die Hunde liegen hechelnd in der Sonne, und am Telefon ist Ralf Möller, der Bodybuilder und Schauspieler. Er würde gern vorbeikommen, vielleicht über ein paar Projekte sprechen. Uwe Boll steht in Turnhosen im Flur seiner Villa und hält den Hörer ans Ohr gepresst. "Nee", sagt er, "das geht jetzt gar nicht. Ich will gerade zum Laufen." Der Möller, hatte er vorher noch gesagt, sei ja seit "Gladiator" so etwas wie ein internationaler Star, einer, mit dem man gern mal Filme dreht, nett obendrein. Und jetzt das. "Nee", sagt Uwe Boll noch einmal, "ich hab jetzt echt keine Zeit. Musste das nächste Mal vorher anrufen." Er tänzelt ein bisschen hin und her, dehnt sich ein wenig. Die freie Hand wischt über den Kopf. Die Haare darauf sind nicht mehr dicht und mit Silberfäden durchwachsen, das Gesicht ist das eines Boxers, ein wenig grob behauen, im Mund eine Zahnkerbe, das ganze Drumherum mit grossporiger Haut überzogen.


Er knallt den Hörer hin. Der Möller muss warten. Boll kann sie alle haben. Er hat mit Ben Kingsley gedreht und mit Christian Slater, demnächst startet "Die Schwerter des Königs" mit Jason Statham in der Hauptrolle, der seit "The Transporter" ein Star ist, Ray Liotta und Burt Reynolds spielen auch mit. Es sind nicht die ganz grossen, aber immerhin solides Hollywood-Kaliber, viele Ehemalige der A-Liste. Das ist ein wenig seltsam. Denn Uwe Boll gilt als der schlechteste Regisseur der Welt.


Ein paar Stunden vor dem Anruf von Ralf Möller, bevor Uwe Boll sagt "Sie müssen jetzt gehen, ich muss nämlich noch laufen", öffnet er die Tür seiner Villa in der Nähe von Mainz in verwaschenen Jeans, Wollsocken und Birkenstock-Sandalen an den Füssen und einem schwarzen T-Shirt aus dem Promotion-Fundus für "Alone in the Dark". Er hat einen gedrungenen, kräftigen Körper und im Gesicht ein freundliches Lachen von Ohr zu Ohr. Auf dem Weg in den Garten zupft er immer wieder an seinem T-Shirt herum, ein seltsamer Zufall vielleicht, dass er ausgerechnet eines angezogen hat, das für "Alone in the Dark" wirbt.


Der Film stammt aus dem Jahr 2005, mit ihm hat er seinen Ruf in Beton gegossen. Wenn es schlecht läuft für die Ewigkeit. In "Alone in the Dark" geht es um Dämonen und kultische Handlungen, es gibt bessere Plots, aber auch schlimmere. Das Problem sind die Hauptdarsteller, Christian Slater ("True Romance") oder Stephen Dorff ("Blade"), die an den seltsamen Dialogen scheitern. Er habe, sagt Boll einmal, aus der Erfahrung gelernt, dass ein Drehbuch tatsächlich von Bedeutung sei. Die "New York Times" fand den Film nicht gut. "Dieser Horrorfilm ist so unzulänglich, das man sich wundert, warum der Verleih ihn nicht direkt auf Video herausgebracht oder besser noch, direkt in den Mülleimer geworfen hat."


Games auf Grossleinwand

Auf der Homepage von Uwe Bolls Firma, der Boll KG, steht: "Spielfilme für den Weltmarkt - Weltmarktführer in der Verfilmung von Videospielen". Boll hat sich auf die Verfilmung von Videospielen spezialisiert. Das sei, sagt er, ein nahezu idiotensicherer Markt. "Die Fans der Spiele gucken sich den Film auf alle Fälle an, auch wenn er ihnen nicht gefällt. Es rechnet sich fast immer." Und weil es den meisten nicht gefällt, was er aus den Spielvorlagen macht, nimmt er Kritik inzwischen hin, wie man eben Regen hinnimmt oder einen Zahnarztbesuch. Es ist nicht schön, aber es gehört irgendwie dazu. Und je schärfer die Kritik wird, desto grösser wird Uwe Bolls Output an Filmen, desto beharrlicher schafft er immer Neues, das Missfallen erregt. "Mr. Uwe Boll hat sich zum Ziel gemacht, der König der überwältigend schlechten Videospielverfilmungen zu werden", schreibt etwa eFilmCritic über den 2003 erschienenen Film "Heart of America". "Stellen Sie sich Columbine in ein schillerndes Bilderbuch übersetzt vor, und Sie sind halbwegs dabei zu kapieren, wie lachhaft schlecht und unglaublich geschmacklos dieser Streifen ist."


Und was macht Boll? Legt im gleichen Jahr den Zombie-Abknallfilm "House of the Dead" nach, wie ein trotziges Kind. Ein Fehler, findet "The Times": "Eine Mischung aus schlechter Schauspielerei, billigen Effekten, einem stampfenden Technosound, um den Zuschauer wachzuhalten, Zombie-Make-up, das von jedem Halloweenkostüm übertroffen wird und unglaublich dämlichen Dialogen". Jeder andere wäre niedergeschlagen gewesen. Nicht Uwe Boll. Er dreht "Alone in the Dark" und "BloodRayne" und bringt beide 2005 in die Kinos. Die Branchenbibel "Variety" findet "BloodRayne", in dem ein weiblicher Dhampir, Mischwesen aus Mensch und Vampir, um seine Ehre und irgendwie auch um das Wohl aller kämpft, erwartungsgemäss scheusslich. "In Rumänien gedreht, hat "BloodRayne" den unübersehbaren schäbigen Look einer internationalen Low-Budget-Produktion. Die Kostüme suggerieren, wie der "Herr der Ringe" ausgesehen haben könnte, wenn die Schauspieler in Ramschläden ausgestattet worden wären."


Bolls Filme kranken alle an den gleichen Symptomen. Häufig passen die Anschlüsse der Szenen nicht, die Handlung ist unübersichtlich, die Dialoge sind tumb, die Musik ist unpassend, die Schauspieler wirken hölzern, auch die berühmten. Und manchmal kommt wie aus dem Nichts eine völlig überraschende, übermässig freizügige Sexszene, die weder zum Plot noch zum Geschehen passt. Aber, sagt Boll, ein bisschen Gefühl müsse doch sein. "Action, damit man sieht, aha, die wollen noch mehr, nicht nur kämpfen." Es wird manchmal sehr viel geschwiegen, in "House of the Dead" zum Beispiel, als gäbe es schlicht nichts zu sagen angesichts der Materie. "Ich fand den Dialog im Drehbuch so dämlich", erklärt Boll, "dass ich denen einfach gesagt habe, ihr sagt jetzt gar nichts, ihr geht jetzt einfach durch die Büsche oder über die Brücke, die Action spricht ja für sich. Das ist mir dann lieber, als noch irgendwelche Teeniedialoge da reinzupacken."


Ed Wood, deutsche Version

Inzwischen schreibt er die meisten Bücher selbst. "Ich habe es mit vier Drehbuchautoren versucht, und dann dachte ich, komm, wenn du schon schlechte Kritiken kriegst, dann wenigstens für dein eigenes Drehbuch."


"Herr Boll, sind Ihre Filme wirklich so schlecht?"


"Nun, das kommt darauf an, mit welcher Erwartungshaltung man da rangeht. Wenn man zum Beispiel einfach einen Film gucken möchte, in dem Leute zu Tode gehetzt und aufgefressen werden, dann ist "House of the Dead" gut, kann man nichts gegen sagen. Wenn die Leute aber Handlungstwists erwarten wie bei "Usual Suspects", dann wird man natürlich enttäuscht."


"Im Internet wird Ihnen allerdings massiver Mangel an Talent vorgeworfen. Es gibt sogar eine Online-Petition, in der Sie gebeten werden, nie wieder Filme zu machen." "Ich sage Ihnen mal was: Wenn der Quentin Tarantino nicht mit "Reservoir Dogs" und "Pulp Fiction" einen so guten Start hingelegt hätte, wer weiss, wo er dann heute wäre? Das sind immer noch seine besten Filme. Bei mir ist es blöd gelaufen, "House of the Dead" war vielleicht wirklich nicht so gut. Es liegt, glaube ich, an der Mentalität der Videospielfans. Die haben ihren eigenen Film vom Game. Mich haben sie einfach besonders auf den Kieker genommen, weil ich gleich drei Spiele hintereinander verfilmt habe. Und danach konnte ich machen, was ich wollte, die Leute fanden es einfach Scheisse. Dabei macht solche Filme, mit so viel Action und so, in Europa höchstens noch der Luc Besson.


Vieles in Bolls Filmen ist so haarscharf daneben, dass man denkt, mein Gott, das muss ihm doch auffallen. Missliche Kleinigkeiten, die sich in einem grossen Schlechten summieren. Man hat das Gefühl, dass das bei ihm ein Motiv sein könnte, das sich durchs Leben zieht. Die Villa zum Beispiel, die er vor zwei Jahren gekauft hat. Sie liegt eigentlich wunderschön über dem Rhein, der Garten fällt in sanften Schwüngen ab. Leider liegt das Gebäude in der Einflugschneise des Flughafens Frankfurt am Main. Alle paar Minuten donnert ein Jet darüber hinweg, Turbinengebrüll in den Ohren, sodass man immer fragen muss: "Bitte? Was haben Sie gesagt?"


"Ich liebe Filme", sagt er. Schon als Kind habe er gedreht, später die Leidenschaft zum Beruf gemacht. "Wenn ich nicht drehen kann, bin ich nicht glücklich." Im Netz nennen sie ihn "Master of Error" oder "Son of Ed Wood". Den Titel "schlechtester Regisseur der Welt" wird Uwe Boll wohl noch eine Weile tragen. Es ist keine Konkurrenz in Sicht, jedenfalls keine ernsthafte. Die meisten seiner Filme sind bei imdb.com, der für Fans und Kritiker gleichermassen wichtigen Internet Movie Data Base, unter den 100 schlechtesten Filmen aller Zeiten zu finden, manche sogar, bevor sie überhaupt angelaufen sind. Internet-Bashing nennt man das, jemanden anonym im Netz fertigmachen. Die University of Aspen hat eine Studie zu dem Phänomen angelegt, basierend auf den Hasstiraden gegen Uwe Boll. "Der Fall Boll mit den sogenannten Boll-Hassern ist deshalb so aussergewöhnlich interessant und faszinierend, weil es bei Weitem der grösste, exotischste und intensivste Beispielfall im Internet ist", so die Leiterin der Studie, Ann-Rose Kahn. "Wegen des ungewöhnlich hohen Levels an anonymer Aggressivität war dies einfach ein idealer Fall."


Uwe Boll ist jetzt 42 Jahre alt. Er trägt einen Doktortitel in Literaturwissenschaften und hat im Nebenfach Betriebswirtschaft studiert. Früher hat er geboxt, zehn Jahre Training, er kann eine Menge einstecken. Im letzten Herbst aber hat es ihm gereicht. Unter dem Motto "Put up or Shut up" hat er seine ärgsten Kritiker aus dem Internet eingeladen, sich ihm im Boxring zu stellen. "Jemanden anonym fertigmachen, ist doch leicht", sagt Boll. "Ich wollte, dass die sich mir stellen müssen." Es meldeten sich eine Handvoll Leute, vielleicht wussten sie das mit dem Boxtraining nicht. Boll ging aus allen Kämpfen als Sieger hervor. Dieses eine Mal wenigstens.


Uwe Boll ist vielleicht der schlechteste Regisseur der Welt. Er ist aber auch der erfolgreichste, den es in Deutschland gibt, vielleicht sogar in ganz Europa. Zumindest wirtschaftlich gesehen. Besson macht ja kaum noch etwas, und Polanskis Filme laufen nicht mehr gut. François Ozon dreht für das Kunstkino, genau wie Tom Tykwer. Da bleiben nicht mehr viele. Das ist schwer zu verstehen. Vielleicht liegt es daran, dass Uwe Boll so unbeirrbar weiter das macht, an das er glaubt. Und dass es immer irgendwelche Leute gibt, die sich wirklich alles auf DVD anschauen oder eben im Kino. Und daran, dass er ein gut funktionierendes Finanzierungs- und Marketingkonzept ausgetüftelt hat. Er kann den Leuten ziemlich viel andrehen. Offensichtlich.


Er versaut wirklich alles

Seine ersten grossen Filme hat er mit Filmfonds finanziert. Diesen Fonds lag das Prinzip zugrunde: Entweder man versteuert seinen Geschäftsgewinn am Ende des Jahres und verliert ihn an das Finanzamt oder man gibt ihn in einen Filmfonds, schreibt die Hälfte ab und hofft, dass der mitfinanzierte Film am Ende Gewinn macht. Uwe Boll ist bei all seinen Filmen als Produzent beteiligt. "Das bedeutet, dass ich auf das Geld gucke. Das würde ein einfacher Regisseur nicht machen." Es bedeutet aber auch, dass es nicht unbedingt wichtig für ihn ist, wenn das Mädel von der Continuity Probleme mit dem Wetter hat: "In den Szenen von gestern war es trocken und sonnig, da kann es nicht plötzlich regnen." Boll denkt da praktisch, Kosten sparend. "Ach was, das können wir später wegdigitalisieren. Das sieht kein Mensch. Ich arbeite schnell und günstig, ich darf mich nicht durch jede unwichtige Kleinigkeit aufhalten lassen." Auch wenn die Filme nicht gerade makellos sind: Sie werfen bislang noch immer Geld ab. "House of the Dead" zum Beispiel hat 7 Millionen Dollar gekostet und über 60 Millionen eingespielt, vor allem durch den Videoverleih und die Fernsehrechte in allen möglichen Ländern.


Und er spart, wo er kann. Teure Schauspieler wie Ben Kingsley etwa verpflichtet er erst kurz vor Drehbeginn, wenn sich für die Darsteller in den nächsten zwei, drei Wochen sowieso kein neues Angebot auftäte. Und eine Statistenrolle versteigert er schon mal bei Ebay. Fast 3000 Dollar hat ein US-Amerikaner dafür bezahlt, bei "Far Cry" mit Til Schweiger in der Hauptrolle einen "Einsatz als Statist an 1 bis 5 Drehtagen, je nach verfügbarer Rolle" zu haben, "die Verpflegung am Set ist für Sie kostenfrei!". Der Hinflug nach Vancouver, Kanada, ist allerdings selbst zu tragen. Boll dreht fast immer in British Columbia, um die Gegend von Vancouver, denn dort bekommt er als Produzent 21 Prozent Labour Tax zurück. Es lohnt sich, wenn man wie Uwe Boll zwei, drei Filme im Jahr dreht. Er lässt sich ja nicht beirren. Als hätte er sich vorgenommen, die Welt zu bekehren.


Von nun an könnte es allerdings ein bisschen schwieriger werden.


Denn die Finanzierungsmöglichkeit mit den Medienfonds gibt es nicht mehr. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Steuerlücke inzwischen geschlossen. Uwe Boll muss die Filme nun über Vorverkäufe finanzieren und über Investoren, die bereit sind, einem Mann mit dem Ruf, wirklich jeden Film zu versauen, ihr Geld anzuvertrauen. Und das Budget für seine Filme steigt.


Er traut sich jetzt was. "Die Schwerter des Königs" zum Beispiel hat über 60 Millionen Dollar gekostet. 60 Millionen Dollar bieten Möglichkeiten, für die Uwe Boll möglicherweise nicht gut genug ist.


"Die Schwerter des Königs" soll der grosse Durchbruch werden. Er startet am 29. November in den deutschen Kinos. Davor kamen im Oktober mit "Postal" die "geschmackloseste Satire, die es je gab", und mit "Seed" der "brutalste Horrorfilm, den es je gab". Es soll ein Grossangriff werden, für den jeder Superlativ recht ist. Wenn alle drei Filme floppen, ginge es für Uwe Boll zum ersten Mal um die Existenz als Filmemacher. "Ich habe natürlich den Traum, einen Film zu machen, der den Leuten einfach gefallen muss", sagt Uwe Boll. "Dass sie dann endlich einsehen, wow, der Boll kann es ja doch."


Burt Reynolds, Jason Statham, Ray Liotta, Kristanna Loken, Claire Forlani spielen in dem Epos mit, alles Namen und Gesichter, die man kennt. Wieder eine Videospielverfilmung. "Man sieht dem Film an, dass viel Geld dahintersteckt", sagt Uwe Boll, "es würde mich wundern, wenn der nur 5 Millionen Dollar machen würde." Vielleicht wäre ein Durchbruch gar nicht so gut. Bisher lebt Boll ja ganz gut in seiner Nische, vielleicht sehen die Leute seine Filme an, weil sie es schrill finden, Werke des "schlechtesten Regisseurs der Welt" zu schauen. Im Mittelmass geht man schnell verloren.


über die Villa scheppert ein weiteres Flugzeug hinweg. Es ist Nachmittag, gleich wird das Telefon klingeln, und Ralf Möller wird fragen, ob er vorbeikommen darf. Uwe Boll ist hungrig geworden. "Ich mache uns jetzt eine schöne Obsttorte", sagt er. "Ich esse nämlich nie etwas zu Mittag." In der Einbauküche liegt ein wenig Staub auf den Arbeitsflächen. Sie ist ziemlich neu, Boll nennt einen sehr hohen Preis, den er dafür bezahlt hat. Dann öffnet er den Kühlschrank und holt einen Fertigtortenboden heraus, nimmt zwei Dosen aus dem Regal und setzt den Dosenöffner an. Einmal Pfirsichhälften, einmal Ananasringe. Uwe Boll legt die Früchte auf den Kuchenboden, in regelmässigen Kreisen. "So", sagt er, "lecker. Das überbrückt die Zeit bis zum Abendessen."


"Kochen Sie gern?"


"Total gern. Ich koche alles, italienisches Zeug, Fleisch und so weiter. Ich habe auch schon mal kompliziertes Zeug gemacht, Fischkram und so was. Leider mag meine Freundin überhaupt nichts, was ich koche."


"Sind Sie ein guter Koch?"


"Alle sagen, Nein. Aber ich sage: Ja."